Rundumschlag

„Pest oder Cholera“ betitelt Tom Schimmeck, Autor des medienkritischen Buchs „Am besten nichts Neues“ den Rundumschlag gegen die Journalisten, ihre Geltungssucht, ihre abgehobene Arbeitsweise, etc. Erschienen ist der vernichtende Befund auf vorwärts.de,

Spätestens, seit die ersten Herrscher Order gaben, ihr Antlitz auf Münzen zu prägen, war die Kunst der PR, der Public Relations geboren. Heute kann man dieses Handwerk in Crashkursen und an Hochschulen lernen. Parteien, Konzerne und Verbände, selbst manche Popstars, beschäftigen nun große Stäbe, um sich am Meinungsmarkt zu behaupten. Sie drechseln schlagkräftige Sätze, lancieren ihre Themen, kreieren Ereignisse – „Events“, an denen kein Medienmensch vorbeizukommen glaubt. Das Problem wäre zu verkraften, wenn es genügend Journalisten gäbe, die den Platz, die Zeit und die Ressourcen hätten, die Show immer wieder zu entzaubern.

Durch tiefgründige Recherchen und präzise Analysen. Doch solche „Luxusjournalisten“ sind längst die Ausnahme in den Medien. Der ökonomische Druck wächst. Seit Jahren sparen die meisten Medien, auch Qualitätsblätter reagierten mit Entlassungswellen. Die Honorare der „Freien“ sinken, viele fluktuieren zwischen Journalismus und PR. Tauschen die Rollen, um zu überleben.

Anmaßende Alphajournalisten

Studien zeigen, dass das Gros der Journalisten kaum noch Kontakt mit der Wirklichkeit hat, nur noch am Rechner sitzt. Sie schwimmen mit im gewaltigen Nachrichtenstrom, müssen ihn möglichst flink und effektiv in Zeitungsspalten und Sendeminuten lenken. „Wir verzichten auf den Augenschein im Journalismus“, bilanziert Volker Lilienthal, Professor für Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg. „Wir waren nicht selbst vor Ort und sind oftmals zu gutgläubig.“

Hinzu kommt eine gewandelte Haltung der „Alphajournalisten“, spürbar vor allem in der Berichterstattung über Politik und Wirtschaft. Diese kleine Schar steht auf der Bühne, macht mit beim Meinungszirkus, sucht die Nähe und Anerkennung der „Movers und Shakers“, der Promis und zelebriert sich in Talkshows. „Wir sind nicht nur Zaungäste“, verkündete vor Jahren schon Gabor Steingart, damals Spiegel-Büroleiter in Berlin, heute Chefredakteur des Handelsblatts. „Wir sind beim Agenda-Setting dabei. Wir haben für Schröders Agenda mitgestritten.“ Man ist sich nah. Und pflegt den Geltungsdrang.

Die große Masse der Journalisten hingegen verzichtet inzwischen oft darauf, politisch Position zu beziehen, arbeitet sich an den „gesetzten“ Themen ab. Die Wächterfunktion der Medien nimmt sie immer seltener wahr. Diese Verschiebung des Rollenverständnisses zeigt sich auch in wissenschaftlichen Untersuchungen. Eine Vergleichsstudie des Journalismusprofessors Siegfried Weischenberg und Kollegen ergab: 1993 strebten noch 37 Prozent der Journalisten danach, Politik und Wirtschaft publizistisch zu kontrollieren. 2005 waren es nur noch 24 Prozent. Als Anwalt Benachteiligter sahen sich in der Ära Kohl 43 Prozent, zum Ende der Ära Schröder nur mehr 29 Prozent.

Ein Gedanke zu “Rundumschlag

  1. Ja, kann alles sein, was der erfahrene Kollege da so diagnostiziert hat. Aber was ist mit der Einstellung, dass wir ja die wunderbar erlösenden, basisdemokratischen, neuen Medien haben? Blogs (!), Facebook, Twitter – haben angeblich schon ganze Diktaturen gestürzt. (Zum Beispiel schrieb die Kollegin Franziska Schwarze vor kurzem in der SZ, man habe bei Twitter den arabischen Frühling „live und in Echtzeit miterleben“ können – so viel zum Augenschein).
    Vielleicht war Journalismus aber doch früher auch nur die „freie Meinung“, die sich 300 reiche Verlegerfamilien leisten konnten? Ich stelle an mir jedenfalls oft fest, dass ich gern wie Tom Schimmeck denke – aber mich dann selbst frage, ob ich mich nicht einfach zu altertümlich für die Mediengegenwart verhalte. Wird vielleicht Zeit, dass die Meinungshoheit mal von der angeblich so freiheitsliebenden Online-Community übernommen wird…

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