Umdenken zur Existenzsicherung

Prof. Christoph Fasel (c) KfJ

Journalisten dürften sich nicht an Konzepte für Tageszeitungen klammern, die im Jahr 2012 keine wirtschaftlichen Überlebenschancen mehr haben. Journalisten müssten sich, gut ausgebildet, vielmehr auf die Stärken ihres Handwerks besinnen: verständlich schreiben, den Leserinnen und Lesern Orientierung und Nutzwert bieten. Diese Qualitätsmerkmale würden von zahlungswilligen Kundinnen und Kunden umso mehr verlangt, als die Flut an Information gerade im Internet ständig zunimmt und für Verunsicherung sorgt.

Das sind die Kernaussagen eines Interviews, das ich mit dem Medienwissenschafter, Journalist und Buchautor Prof. Dr. Christoph Fasel im Anschluss an die Diplomverleihung zum Abschluss des 20. Österreichischen Journalisten-Kolleg  des Kuratoriums für Journalistenausbildung  am 29. Juni in Salzburg gemacht habe. Christoph Fasel  war der Festredner an diesem Abend.

Optimismus trotz Krisenstimmung

16 Jungjournalisten aus ganz Österreich haben nach neun Wochen intensiver Ausbildung ihr Abschlussdiplom überreicht bekommen. Die meisten der Absolventinnen und Absolventen arbeiten bereits in Redaktionen und erleben hautnah die Auswirkungen des Wandels in der Medienwelt:

  • Der Journalismus ist in einer Vertrauenskrise – gerade einmal 35 Prozent  der Befragten bekundeten in einer deutschen Umfrage noch Vertrauen in den Journalismus.
  • Der Journalismus ist in einer wirtschaftlichen Krise – Reichweiten und verkaufte Auflage schrumpfen – in Deutschland mehr als in Österreich , Werbegelder wandern ins Internet ab. in den Medienhäusern wird gespart, die Redaktionen werden personell ausgedünnt, die Arbeit wird im Gegenteil mehr. Für Aus- und Weiterbildung, vor allem aber für gründliche Recherche bleibt immer weniger Zeit.
  • Der Journalismus steckt in einer Identitätskrise. Digitalisierung, Internet, vor allem die sozialen Netzwerke ermöglichen jedem Internetbenutzer die Kommunikation mit einem Massenpublikum.

Ungeachtet dessen gibt sich Medienwissenschafter Fasel im Interview überzeugt, dass die Absolventinnen und Absolventen, Jungjournalisten überhaupt, eine gute Zukunft vor sich haben. Zum einen gründet er seinen Optimismus darauf, dass es in den kommenden fünf bis acht Jahren einen Generationenwechsel geben wird: „In den Deutschen, den Österreichischen und auch den Schweizer Redaktionen werden die Führungsposten neu besetzt.“

Als zweiten Grund nennt Christoph Fasel, dass die Mediennutzer nach einer „Phase der Desorientierung, in der man die Kommunikationsfähigkeiten des Netzes mit Qualitätsjournalismus verwechselt hat“, sich darauf besinnen, dass sie verlässliche Orientierung, Hintergrund und Nutzwert nur in einer echten journalistischen Leistung erhalten.

Originalton Prof. Dr. Christoph Fasel

Medienwissenschafter Fasels Perspektive klingt reichlich optimistisch angesichts der vielen Jungjournalisten, die kaum noch Anstellungen in Redaktionen bekommen und als freie Mitarbeiter oft in prekären Beschäftigungsverhältnissen beschäftigt sind – sogar in großen Medienhäusern wie dem ORF .

Stärkere Redaktionen – weniger Renditeforderung

Christoph Fasel kennt die Einstiegsschwierigkeiten von den Nachwuchsjournalisten und nimmt deshalb auch die Verleger in die Pflicht. Er kritisiert, dass sie absolut kein Problembewusstsein hätten:

„Mit den Änderungen der Mediennutzungsgewohnheiten müssen sich auch die Inhalte der Zeitungen ändern – mehr Orientierung, mehr Hintergrund, mehr Nutzwert. Das bedeutet gleichzeitig einen Höheren Anteil an journalistischer Arbeit.“

Wenn aber, wie viele Medienhäuser das gemacht haben, die Redaktionen ausgedünnt werden, dann könnten die Journalisten diese Qualität nicht liefern, ergänzte Fasel. Er nennt dieses Versagen seit einigen Jahren „die Todesspirale des Journalismus“ und fügt noch einen dritten Kritikpunkt an die Adresse der Verleger hinzu:

„Die Verlage waren gewohnt 20 bis 22 Prozent Umsatzrendite zu machen. Heute machen sie zehn bis zwölf Prozent. Könnten die Verleger, um aus der Todesspirale auszubrechen, nicht auch mit 12 Prozent wunderbar leben, wenn im Lebensmitteleinzelhandel 0,8 bis 1,1 Prozent Umsatzrendite gemacht werden?“

Die komplexe Welt verständlich machen

Zurück zu den Journalisten in den Redaktionen, die nach dem x-ten Sparprogramm mit dem Füllen von Seiten und Sendungen so beschäftigt sind, dass für die journalistischen Grundaufgaben wie ausführliche Recherche zu einer Geschichte oft nicht mehr ausreichend Zeit bleibt.

Christoph Fasel, der auch bei Bild und Stern gearbeitet hat, ruft die Journalisten auf, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren. Sie müssten ihr journalistisches Profil schärfen, „das heißt jene Teile der Zeitung, die nur referierend wiederkäuend, was ohnedies Radio und Fernsehen viel schneller liefern, sollte zugunsten von Orientierung und Nutzwert reduziert werden.“

Prof. Fasel fordert die Journalisten auf, diese Notwendigkeit für mehr Orientierung und Nutzwert auch zu erkennen und danach zu handeln.  Mit dem Verweis, dass 72 Prozent der Journalisten zwar aufdecken, aber nur 40 Prozent ihren Leser helfen wollten, bezieht sich der Medienwissenschafter auf Umfrageergebnisse aus Siegfried Weischenbergs Report über die Journalisten in Deutschland. Dabei sollte es genau umgekehrt sein, ergänzt Fasel.

Bei aller Notwendigkeit für Aufdecker und ‚Sargdeckelöffner‘, also Human-Touch-Spezialisten, unter den Journalisten, bräuchten die Bürgerinnen und Bürger vor allem Medienleute, die ihnen die stets komplexer werdenden Vorgänge in der Welt kompetent und valide erklären, sagt Fasel und zitierte aus einer Studie , an der er mitgearbeitet hatte. Die habe das ernüchternde Ergebnis gebracht, „dass gerade einmal drei Prozent der deutschen Wirtschaftsjournalisten in der Lage sind, gediegene Wirtschaftsinformation zu liefern. Das ist eine katastrophale Zahl.“

Originalton Prof. Dr. Christoph Fasel

Journalistische Aus- und Weiterbildung muss selbstverständlich werden

Diese „katastrophale Zahl“ hat für Christoph Fasel auch und vor allem mit dem Mangel an Aus- und Weiterbildung bei vielen Journalisten zu tun. Zum einen fehle ihnen die Selbsterkenntnis, wie wichtig es ist, seine handwerklichen Kompetenzen und Fähigkeiten auszubauen, regelmäßig zu schärfen, das tägliche Tun kritisch zu reflektieren. Zum anderen sind es Aus- und Weiterbildung, die als erstes den Sparprogrammen in den Redaktionen zum Opfer fallen. Fasel nennt Ärzte als Beispiel, die sich nachweislich in regelmäßigen Zeitabständen mit neuen Entwicklungen in ihrem Bereich auseinandersetzen müssten:

Im Journalismus scheint bei vielen Leuten noch nicht durchgedrungen zu sein, dass es da ganze Massen von Neuem, Spannendem gibt. Und auch handwerklich, wissen wird, können wir noch einiges dazu lernen. Das heißt, im Grunde müsste ein Journalist auch zum TÜV, das heißt alle zwei Jahre einmal die Batterie aufladen, zwei Wochen kreativ schreiben machen, Textsorten auffrischen oder neue Recherchetechniken lernen, wie er nicht besser, zum Beispiel, nutzwertig für den Leser schreiben kann. „

Originalton Prof. Dr. Christoph Fasel

 

Tipps für den Nachwuchs

Auf die Absolventinnen und Absolventen des Journalisten-Kollegs trifft dieser kritische Appell nicht zu. Sie haben sich in Summe neun Wochen lang weitergebildet, in den Beeichen Print, Audio, Video und Online – zeigemäß multimedial. Zurück in ihren Redaktionen, sollten sie sich auch weiter auf dem Laufenden halten, rät Medienwissenschafter Christoph Fasel, auch um darauf zu reagieren, „dass eine Tageszeitung, wie sie vor 30 Jahren gemacht wurde, im Jahr 2012 keine Chance mehr hat.“ Die Journalisten alt und jung sollten darauf achten in der Berichterstattung die Komplexität zu reduzieren:

„Wer blickt noch beim Euro-Rettungsschirm durch? Wer kann mit die Sozialversicherungsbeitragsbemessungsgrenze  erklären? Das ist in Österreich auch nicht anders. Das Leben wird immer komplexer, und wir Journalisten leider Gottes, verlieren immer häufiger die Fähigkeit, diese ersten und wichtigsten Dinge zu tun, nämlich Dinge zu erklären.“

Also: zurück zu den Wurzeln des guten Handwerks, appelliert Christoph Fasel:

  • Klarheit in der Berichterstattung;
  • Sauberkeit in der Recherche;
  • Keine Einquellenberichterstattung;
  • Keine ungefilterte Wiedergabe von PR-Material;
  • Ein deutlich orientierendes Schreiben;
  • Eine klare Sprache benutzen, ohne schwer oder gar nicht verständliche Fachbegriffen und Fremdwörter.

Originalton Prof. Dr. Christoph Fasel

Fünf Thesen zur Zukunft des Journalismus

Fasels Kritik und Forderungen in diesem Interview basieren auf seinen fünf Thesen zur Zukunft des professionellen Journalismus, die er bei Vorträgen präsentiert:

  1. These: Professioneller Journalismus muss sich stärker auf sein Handwerks-Können besinnen, wenn er zukünftig unverzichtbar bleiben will
  2. These: Die De-Professionalisierung des Bürgerjournalismus im Netz ist keine Gefahr für den professionellen Journalismus. Denn es wächst zunehmend die Sehnsucht nach kompetenter Information, für die Nutzer gerne bereit sind, zu zahlen.
  3. These: Professioneller Journalismus darf sich nicht durch die fehlende Kompetenz des Bürgerjournalismus korrumpieren lassen – eine Versuchung, der manche Verlage gerne erliegen möchten.
  4. These: Professioneller Journalismus muss seinen Wert in der Öffentlichkeit offensiver vertreten und deutlich machen. Er ist nicht umsonst zu haben.
  5. These: Es ist an der Zeit, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wir brauchen eine verbindliche Handwerksprüfung für Journalisten – oder eine Art hippokratischen Eid, der ihr Können und ihre Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit, die sie aufklären sollen, verbindlich klar macht.

Das gesamte Interview mit Prof. Dr. Christoph Fasel:

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