Der Lehrmeister der guten Sprache hört auf

Als „das Gewissen der Journalisten, wenn es um gutes Deutsch ging“ bezeichnet der „StandardWolf Schneider, nachdem dieser im Kuratorium für Journalistenausbildung  in Salzburg am 5. Dezember 2012 seinen letzten Auftritt als Lehrer hatte.  Mit 87 Lebensjahren und nach 33 Jahren als Journalistenlehrer beschränkt sich Wolf Schneider nun auf das Schreiben von Büchern. Wer immer ihn als Lehrer erlebt hat, teilt meine Erfahrungen: Wolf Schneider ist ein Sprachpurist, kompromisslos in seiner Kritik.

Die Strategie des „Qualitätsfundamentalisten

Der „Lehrmeister der guten Sprache“ – diesen Ehrentitel verlieh ihm vor Jahren ein Feuilletonist in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“  – präsentiert sich, sagen wir, sehr nachhaltig: Er geht mit Texten, mit denen er sich auseinandersetzt, hart ins Gericht. Er wolle, dass seine Kritik Früchte trage und den Kritisierten im Gedächtnis bleibe, sagt Wolf Schneider:

„Es wird ja alles in allem akzeptiert, dass ich mich außerordentlich engagiere und dabei, ich hoffe nicht brutal, aber sehr direkt, manchmal verletzend und zugespitzt, den Lernerfolg erzwingen möchte. Ich möchte das Gefühl haben: Das vergessen die nie wieder.“

Wer gelesen werden will, der muss sich plagen

Die konfrontative, kompromisslose Art des Wolf Schneider mag nicht jedermanns Sache sein. Der Sprachpurismus, den er seit Jahrzehnten pflegt und weitergibt, der aber hat seine Berechtigung.  Gerade für uns Journalisten. Sprache ist das wichtigste Werkzeug bei unserer Aufgabe, dem Publikum – auch den „Leuten, die wir früher Publikum nannten“ in den sozialen Netzwerken – unmissverständliche Botschaften zu übermitteln.

Sprache muss klar und unissverständlich sein

Beispiel 1: Der Konjunktiv ist (nicht nur) unter Radiojournalisten unbeliebt: umständlich, gespreizt, sagen viele, – dennoch ohne Alternative, behaupte ich. Denn im Radio zeigen keine Anführungszeichen die direkte Rede an– die direkte Rede im Radio ist der Originalton. Damit wird eine Aussage eindeutig einer Person zugewiesen. Wenn kein Originalton vorhanden ist, dann braucht es die indirekte Rede, um einer Person eine Aussage zuzuordnen.  Wenn der Radiojournalist aus vermeintlich ästhetischen Gründen den Konjunktiv durch einen Indikativ ersetzt, dann  schreibt er sich die Aussage, zum Beispiel eines Politikers, selber zu. Das ist missverständlich und unvermeidlich, denn die Hörer denken keine Anführungszeichen mit und das meist folgende „… sagte XY“ macht diese Zuordnung in einem flüchtigen Medium wie dem Hörfunk nicht klarer.

Haarspalterei? – Nein, denn die Eindeutigkeit der Botschaft für die  Leser, Hörer, Seher leidet. Die Qualität der Berichterstattung wird gemindert.

Beispiel 2: „Der große Mann im Hintergrund, der in den Verhandlungen selbst nicht in Erscheinung getreten ist, war Nikita Chruschtschow“, hieß es in einem Artikel über das Zustandekommen des österreichischen Staatsvertrags. Diese Aussage ist richtig für alle Leser, die sich noch an den mächtigen UdSSR-Politiker erinnern. Die Aussage ist jedoch missverständlich für all jene, die keine Erinnerung an Chrustschow mehr haben. Der Mann war nur 1,59 m groß. „Groß“ meint in diesem Zusammenhang „wichtig“ oder „bedeutend“.

Haarspalterei? – nein, denn es geht wiederum um die Eindeutigkeit der Botschaft; es geht darum, dass der Journalist das, was er sagen will, auch unmissverständlich kundtut.

Einfache Regeln für gute Sprache

Die beiden alltäglichen Beispiele mag man für  kleinlich halten – Wolf Schneider fasst  die Anforderungen an klare und verständliche Texte, die eine hohe Wahrscheinlichkeit haben gelesen werden, unter anderen in diesen allgemeinen Regeln zusammen, die nach wie vor ihre Berechtigung haben:

  • Kurz fassen – nur was kurz und direkt ist, geht unter die Haut.
  • Handlungen finden in Hauptsätzen statt.
  • Kampf dem Beamtendeutsch (als Synonym für Blähsprache, etc.)
  • Traue nicht dem Duden – er gibt nicht mehr vor, wie deutsche Sprache korrekt zu verwenden ist, sondern beschreibt nur noch, wie deutsch verwendet wird.

Um dem meist gehörten Gegenargument gleich vorzubeugen: Ja, Sprache entwickelt sich weiter. Das war immer so, das ist gut so und vor allem ist es unausweichlich. Aber Sprache muss unmissverständlich bleiben. Das ist vor allem für uns Journalisten wichtig.

Video: Bilanz nach 33 Jahren als Ausbildner

In einem kurzen Videointerview habe ich Wolf Schneider am Abend seiner Verabschiedung als Journalistenlehrer gebeten, aus seiner Sicht Bilanz über den Zustand der Sprache im Journalismus zu ziehen:

[youtube]http://youtu.be/EEQmAFQP-OE[/youtube]

Nicht alle Blogger wollen Journalisten sein

Weniger mit seinen forschen Lehrmethoden als vielmehr mit seinem Verhältnis zu  Onlinejouranlisten und Bloggern hat sich Wolf Schneider in der jüngsten Vergangenheit heftige Kritik  aus Teilen der Bloggerszene eingehandelt. Ob zu Recht oder zu Unrecht – Wolf Schneiders Verhältnis zu Bloggern ist jedenfalls diskussionswürdig. Im Interview, das ich mit ihm  geführt habe, sagt er:

„Ich möchte die Blogs nicht mit dem Onlinejournalismus vergleichen. Das hat nichts miteinander zu tun. Der Onlinejournalismus wird von Profis betrieben und die haben alles in allem den Ehrgeiz gelesen zu werden. Ob der Blogger diesen Ehrgeiz hat, ist ja eine offene Frage – jedenfalls die Mittel gelesen zu werden, hat er meistens nicht“.

Wolf Schneider ist provokant und er differenziert zu wenig. Er geht offensichtlich davon aus, dass alle Blogger den Anspruch haben, journalistisch zu arbeiten. Er verkennt, dass ein Weblog grundsätzlich einmal eine technische Plattform ist, auf der jedermann publizieren kann. Also Texte, Töne, Videos, Fotos, usw. veröffentlichen kann – ohne automatisch den Anspruch erheben zu müssen, nach journalistischen Kriterien zu arbeiten. Im Gegenteil: Viele Blogger wollen ihre Arbeit gar nicht als journalistische Tätigkeit verstanden wissen. Sie publizieren, weil es ihnen Spaß macht, weil sie ein Mitteilungsbedürfnis verspüren, nicht weil sie journalistischen Kriterien entsprechen wollen.

Auch wenn Klarheit und Verständlichkeit in jedem Text wünschenswert ist– an jeden Text die sprachlichen Kriterien von gutem Journalismus anzulegen, geht an der Wirklichkeit vorbei. In diesem Punkt täuscht sich Wolf Schneider.

Nicht WER, sondern WAS

Umgekehrt erfüllt auch nicht jeder Text, der aus einer Redaktion stammt, diese journalistischen Kriterien. Das Internet, das jedem Nutzer die Möglichkeit gibt zu publizieren, wird eine neue Definition erzwingen, was journalistisches Arbeiten ist. Von Bedeutung wird nicht mehr sein, WER publiziert, sondern WAS publiziert wird. Ganz so, wie es Wolfgang Blau formuliert hat:

„Journalismus ist keine exklusive Profession mehr. Journalismus ist zu einer Aktivität geworden, die nur noch von einer Minderheit professionell ausgeübt wird. Ob ein Journalist professionell ist, bemisst sich nicht mehr daran, ob er mit seiner Arbeit Geld verdient, sondern allein daran, ob er professionelle Standards einhält, etwa in der Sorgfalt und Fairness seiner Recherche und der Qualität seiner Sprache.“

Wenn sich diese Überzeugung durchgesetzt hat, dann wird die unsägliche Debatte, ob Blogger Journalisten sind, ein für alle Mal ein Ende haben.

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