Multimedia muss einen Zweck haben

CC BY NC SA Gerhard RetteneggerSnowfall, the Avalanche at Tunnel Creek“, das umfangreiche Multimedia-Feature der New York Times war ein großer Erfolg. Redakteur und Projektleiter John Branch erhielt dafür heuer, 2013, einen Pulitzerpreis. Das aufwändige Multimedia-Projekt war so erfolgreich, dass es in manchen Redaktionen heißt: “Wir snowfallen eine Geschichte”, wenn sie multimedia aufbereitet wird.

“Manche Medienleute glauben, dass wir mit diesem Projekt bahnbrechend für die Zeitungsbranche waren”, sagt John Branch in einem Interview, dass ich vor wenigen Tagen mit ihm über “Snowfall”, über Multimedia und Journalismus geführt habe.

Das Geheimnis des Erfolgs

“Nein”, sagt John Branch auf die Eingangsfrage, ob er diesen großen Erfolg erwartet habe (das gesamte Interview am Ende dieses Postings).  Es habe als ganz normale Geschichte begonnen: Recherche, Emails und Telefonanrufe mit Beteiligten und Fachleuten über den Lawinenabgang in den Cascade Moutains, bei dem im Februar 2012 drei Menschen ums Leben gekommen waren. Erst später habe sich herausgestellt, dass das gesammelte Material “ziemlich gut” sei. Nachdem die Überlebenden des Lawinenunglücks ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekundet hatten und andere Abteilungen bei der New York Times – Grafik, Video – ins Projekt eingebunden waren, da habe er gewusst, sagt John Branch: “Wir machen da eine ziemlich große Geschichte.”

Was aber macht seiner Meinung nach den Erfolg aus?

John Branch: “Vor allem, weil die Geschichte packend ist. Menschen haben von Lawinenabgängen gehört, wissen aber nicht recht, wie das vor sich geht. Das haben wir ihnen in den Multimedia-Elementen dargestellt. Das wichtigste war, dass diese Multimedia-Teile in ‘Snowfall’ nicht Selbstzweck sind. Sie sind beeinduckend, aber jedes erfüllt einen Zweck in der Geschichte.”

Das Projekt sei ein Risiko gewesen, seine Zeitung habe viel Zeit und Ressourcen investiert, fügt John Branch hinzu: “Den Leuten scheint zu gefallen, was wir gemacht haben.”

Multimedia-Mentalität heißt aufgeschlossen sein

“Snowfall” war zuerst ein Feature in der gedruckten Ausgabe der New York Times. 14 Seiten lang. Eine so lange Geschichte sei davor noch nie gedruckt worden, sagt John Branch, schon gar nicht über einen Lawinenabgang. Auf seine Rolle im Online-Projekt angesprochen gibt er sich bescheiden. Er habe den Text geschrieben, danach sei er nur noch Berater gewesen.

In gemeinsamen Sitzungen sei entschieden worden, welche Multimedia-Elemente eingesetzt werden, wo im Verlauf der Geschichte sie sinnvoll sind und den Usern die Geschichte verständlicher machen. “Ich sagte: ‘Das sind Dinge, die wir tun sollten'”, erinnert sich John Branch, “Aber ausgeführt haben sie dann Menschen, die das viel besser können als ich.”

John Branch sieht sich selber als reiner Zeitungsjournalist, “nur dafür bin ich zu gebrauchen”, sagt er im Interview. Aber er hat eine ‘Multimedia-Mentalität’ entwickelt. Das heißt für ihn aufgeschlossen sein all dem gegenüber, was mit seinem ursächlichen journalistischen Aufgabenbereich nichts zu tun hat. Darin sieht er auch die Erklärung, warum die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Abteilungen bei der New York Times so gut funktioniert hat – noch dazu ist John Branch während der Arbeit an “Snowfall” übersiedelt, von News York fast 5000 Kilometer weit weg nach Kalifornien: “Es gab keine Schwierigkeiten, es war wundervoll wie alle gemeinsam an einer Vision arbeiteten.”

Multimedia-Reportage als journalistische Alltagsform?

John Branch vermutet, dass die Onlineversionen von Geschichten lehrreicher und anschaulicher für die User sind als es Zeitungsgeschichten ohne Multimedia-Elemente sein können. Solche Elemente, attraktiv gestaltet, können die User auch bei langen Texten halten, wie in ‘Snowfall’: “17.000 Worte sind viel und wollen erst einmal gelesen werden. Ich glaube, dass die Multimedia-Elemente wirkich helfen, die Leute in der Geschichte vorwärts zu treiben.”

Aber “Snowfall” war aufwändig, was Zeit und Ressourcen betrifft. Das weiß auch John Branch: Seither habe die New York Times auch kein solches Projekt mehr in Angriff genommen. Aber es wäre kurzsichtig zu sagen, meint John Branch, dass “Snowfall” ein einmaliges Projekt gewesen sei. Wir wüssten nicht, wo die Technik in fünf, zehn Jahren stehe: “Zum Beispiel, die erste Grafik in ‘Snowfall’, diese Überflugsimulation beim Berg: Wir haben dafür mehrere Wochen gebraucht. In einem Jahrzehnt kann so etwas vielleicht in sechs Stunden produziert werden.”

Multimedia-Journalismus hat Zukunft

Abschließend sagt John Branch auf die Frage, ob sich junge Menschen in diesen schwierigen Zeiten im Multimedia-Journalismus engagieren sollen: “Ja, natürlich. Das Ziel von Journalisten ist es doch Geschichten zu schreiben, die Leute betreffen und sie weiterbilden. Heutzutage müssen wir das mit allen zur Verfügung stehenden Fertigkeiten tun. Mulimedia – das ist der Weg, wie Leute heute Nachrichten und Informationen aufnehmen. Und wir müssen sie damit füttern.”

 

  Das gesamte Interview mit John Branch

[youtube width=”600″ height=”344″]http://youtu.be/vJcyR8_jrNo[/youtube]

(Die mangelhafte Bildqualität des Videos ist darauf zurückzuführen, dass ich das Interview mit John Branch über Skype geführt habe.)

2 Gedanken zu “Multimedia muss einen Zweck haben

  1. Es muss einen Zweck haben. Ja!! Und wenn wie neulich erlebt, Lokalzeitungen sich selbst loben für ihr special zum Thema Ägypten (!) dann hat es keinen Zweck.

  2. Ich bin davon überzeugt, dass multi-mediale Aufbereitung von journalistischen Beiträgen die Zukunft sein wird. Sie wird aber kritische Berichterstattung nicht ersetzen.

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