Information braucht Redaktion

Bekenntnisse eines geschäftsführenden Redakteurs: Richard Stengel, Managing Editor von TIME, nutzt das Erscheinen des Bildbandes “The Illustrated History of the World’s Most Influential Magazine” über die 87-jährige Geschichte des Magazins für eine grundlegende Erläuterung der journalistischen Prinzipien von TIME. Aller Pathos abgezogen, der sich womöglich durch den Buchtitel eingeschlichen hat, trifft Stengel die Kernaufgaben des Journalismus, die nicht nur seiner Meinung nach in Zukunft bedeutender sein werden als in den vergangenen 87 Jahren:

“In a time of information overload, we understand that information needs editing, voices need moderating, data need curating.”

Dieses Verständnis von Journalismus wird entscheidend für den Unterschied zwischen der vom Rezipienten anerkannten journalistischen Arbeit und den engagierten Aktivitäten der vielen Laienpublizisten sein, die für das Web 2.0 so bedeutend sind; entscheidend für die Legitimation der professionellen journalistischen Tätigkeit in einer Zeit, in der die technischen Möglichkeiten des Internet die Unterschiede zwischen Produzenten und Konsumenten aufgehoben haben.

Journalisten vs. Konsumenten/Produzenten

Laienpublizisten dürfen fast alles ins Netz stellen – dem User obliegt die Entscheidung, was er davon als wahr, als falsch, als Gerücht, als persönliche Meinung oder überhaupt nur als Unsinn bewertet. Vom Journalisten erwartet der Rezipient hingegen verlässliche Berichterstattung, die den Kriterien Genauigkeit, Glaubwürdigkeit und Transparenz entsprechen.

Der Journalist nimmt dem Rezipienten Arbeit ab, indem er die Informationen aus der Flut, die ständig über uns hereinbricht, für ihn sortiert, sie aufbereitet und sie für den User von Bedeutung macht. Information braucht Redaktion. Das gibt den Journalisten Daseinsberechtigung, vor allem wenn sie dafür auch noch Geld kassieren wollen.

Das lange Warten auf den User

In einem anderen Punkt irrt der Managing Editor von TIME. Besser gesagt: Richard Stengel verfällt in Wunschdenken, wenn er die Deutungshoheit der Ereignisse auch noch im Zeitalter der Social Media für die Journalisten reklamiert:

“The book explores TIME’s original mission, much of which is just as relevant today. We still aim to be broad and deep. The proliferation of information sources has made it possible for people to focus on specific nodes of information. That’s fine. But TIME continues to believe that intelligent readers are interested in everything from politics to technology to art to religion.”

Es bleibt unwidersprochen, dass sich Rezipienten nach wie vor für viele unterschiedliche Dinge interessieren, wenn sie mit diesen konfrontiert werden. Zusätzlich nämlich zu den Interessen, für die sie aktiv ihre Communities und Nschrichtenkanäle wählen. Aber immer weniger, vor allem junge Rezipienten, sehen den Journalisten und die Medien, für die diese arbeiten, als Garanten für umfassende, breit gefächerte Information. Von Journalisten und Medienunetrnehmern wenig beachtet, oft auch geflissentlch ignoriert hat sich das Grundverständnis für Informationsvermittlung radikal geändert: “Wenn eine Nachricht so wochtig ist, dass ich sie wissen muss, wird sie mich erreichen.”

Die Nachricht findet ihren Weg zum User

Dieser Satz ist zum Motto des neuen Kommunikationsverhaltens geworden. Facebook und Twitter sind stellvertretend zwei Plattformen im sozialen Netzwerk, in dem sich Nachrichten mit großer Geschwindigkeit verbreiten (können). Journalisten müssen diese Wege nutzen und nicht, wie Stengler, darauf vertrauen, dass Rezipienten immer noch zu den Journallisten und ihren Medien kommen, wenn sie umfassend informiert sein wollen.

Die meisten klassischen Medienmacher ignorieren die neue Wirklichkeit. Einer, der sie akzeptiert und konsequent handelt, ist Alan Rusbridger, der Chefredakteur des Guardian, das nun ein WordPress-Plugin bereit gestellt hat. Damit können Blogger Guardian-Artikel in ihren Blog einbinden und die Artikel gleich kommentieren. Der Gaurdian forciert so die Verbreitung seiner Artikel im sozialen Netzwerk, anstatt die eigenen journalistischen Produkte hinter Firewalls zu verstecken und sie nur zahlungswilligen Kunden zugänglich zu machen.

Die Arroganz der Medienmacher

Journalisten und Medienunternehmer müssen endlich wegkommen von ihrer überheblichen Haltung, die TIME-Editor Stengel in der subjektiven Gewissheit der Wichtigkeit seines Mediums unmissverständlich formuliert:

“TIME’s iconic red border symbolizes a bold, even arrogant idea. Everything inside that red border is worth knowing, and whatever is outside of it, well, not so much.”

Fehleinschätzungen wie diese zeugen nicht nur von realitätsverkennender Überheblichkeit. Sie werden auch genährt vom trügerischen Ruhekissen, dass noch nie soviele Rezipienten TIME – das Magazin und seine Online-Angebote – genutzt haben wie heute. Diese Haltung verstellt einmal mehr den Blick auf die Notwendigkeit, dass die Medienunternehmen dringend funktionierende Geschäftsmodelle entwicklen müssen. Diese basieren, wenn sie Erfolg haben wollen, auf den geänderten Kommunikationsgewohnheiten vor allem der jungen Menschen, der “Konsumenten von morgen”. Das iPad als Hoffnung ist zu wenig, wenn Websites, die den wirtschaftlichen Niedergang in den USA dokumentieren und analysieren, nicht auch in Zukunft häufiger akutalisiert werden müssen als uns Journalisten lieb ist.

Das Wichtigste ist bei der Wahrheit zu bleiben

Ernst Ulrich von Weizsäcker ist DER  international renommierte Vordenker für nachhaltiges Wachstum. In seinem jüngsten Buch mit dem Titel “Faktor fünf” präsentieren er und seine Mitautoren das Konzept einer zukunftssicheren, umweltverträglichen Wirtschaftspolitik. Weizsäcker  fordert, dass die Rohstoffe fünfmal besser genutzt werden müssten als bisher. Dadurch lasse sich ein deutlicher Zuwachs an Wohlstand und Lebensqualität herbeiführen. Dieses ehrgeizige ökologische Ziel sieht Weizsäcker als wegweisend für den technologischen Fortschritt und für nachhaltiges Wachstum.

Mitte Juni stellte sich Ernst Ulrich von Weizsäcker im ORF-Landesstudio Salzburg in einer Veranstaltung der Salzburger.Zukunfts:Dialoge der Diskussion. Anschließend fragte ich ihn in einem kurzen Interview über sein Verhältnis zum Journalismus und über die Rolle, die er Journalisten auf dem Weg zu einer klimaschonenden Gesellschaft zuweist:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=BuzxTOs739o]

Journalismus und seine digitale Zukunft

Unter 2700 Journalisten haben sich die dpa-Tochter news aktuell und Faktenkontor umgehört, um Meinungen zum Journalismus in einem neuen Informationszeitalter zu bekommen. Die Ergebnisse haben sie im “Medien Trendmonitor 2010″ zusammengefasst. Zwei davon lauten:

  • Zwei von drei Journalisten sagen, dass sie fit sind für die digitale Zukunft.
  • Aber nur jeder vierte denkt das Gleiche von den deutschen Medienunternehmen.

In diesem Video sind die Resultate der Umfrage ebenfalls aufgelistet:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=8fgWH1Xpbwo]

Vier Sätze für den Journalismus

Dirk von Gehlen, Redaktionsleiter von jetzt.de der Süddeutschen Zeitung, hat in seinem Weblog (hoffentlich nicht nur die deutschen) Journalisten aufgerufen, ihre Einschätzung über die Zukunft des Journalismus in Antworten auf vier Fragen zu formulieren:

Das sollte jeder Journalist/jede Journalistin heute lernen: Der Weg der journalistisch aufbereiteten Information ist keine Einbahn mehr, es gibt eine leistungsstarke Gegenfahrbahn, die dem Leser, Hörer, Seher und User ganz neue  Möglichkeiten gibt … und das ist keine Katastrophe, sondern vielmehr eine interessante, herausfordernde Perspektive für unsere Arbeit.

Nutzerbeteiligung macht den Journalismus besser, wenn die Journalisten Leser, Hörer, Seher und User nicht mehr als heterogenes, anonymes und disperses Publikum sehen, sondern sie als gleichwertige Partner im Prozess der Informationsvermittlung akzeptieren, sie ernst nehmen  und entsprechend professionell handeln.

In zehn Jahren werden wir uns darüber wundern, dass in der heutigen Debatte wir Journalisten insgesamt so wenig Selbstbewusstsein zeigten. Die Strukturkrise der Medien, die Sparwut und das Streichkonzert der Medienunternehmer in den Redaktionen verdecken den Blick aufs Wesentliche:  Gut gemachter Journalismus ist in unserer demokratischen Gesellschaft und angesichts der Informationsflut, die permanent auf die Bürger niedergeht, unentbehrlich für die Kontrolle der Mächtigen und um den Bürgern Orientierung zu geben.

So könnte ein Geschäftsmodell für den Journalismus von morgen aussehen: Ich kenne es genauso wenig wie alle anderen. Ich weiß aber, dass wir uns endlich ernsthaft auf die Suche nach diesem neuen Geschäftsmodell, vielleicht auch diesen neuen Geschäftsmodellen machen müssen. Wir dürfen unsere Zeit nicht länger vergeuden, indem wir auf den Erfolg von Kopien von Althergebrachtem , wie paid content, hoffen oder an die Erlösung durch technische Geräte wie das iPad glauben.

PS: Es ist unausweichlich, dass die Reduktion auf wenige Sätze der Komplexität dieser grundsätzlichen, existenziellen  Fragen nicht gerecht wird. Vielleicht ist das ja Ausgangspunkt einer Diskussion nicht nur unter Journalisten, über die ich mich sehr freuen würde.